Zum ersten Mal wurde in einer wissenschaftliche Armutsstudie des IW Köln nicht nur die Höhe der Einkommen sondern auch die Kosten für das Leben in den einzelnen Regionen Deutschlands berücksichtigt.

Was viele zwar wissen, aber nun doch zum (Nach-)denken anregt ist die Tatsache, das die deutsche Armutsgrenze nicht mehr zwischen West und Ost, sondern eher zwischen Stadt und Land verläuft.

Konkret bedeutet dies, dass es wegen des teuren Lebens in München mehr Armut gibt als in Frankfurt (Oder)!

Die Münchner Singles trifft es noch härter:

Ein Single in München benötigt monatlich 160 Euro mehr um sich genauso viel leisten zu können wie ein durchschnittlicher deutscher Bürger (München: 1030 Euro, Ø Deutschland: 870 Euro).

einkommensarm oder armutsgefährdet?

Wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat, gilt in Deutschland als einkommensarm oder bereits armutsgefährdet. Bei der Armutsschwelle wurde berücksichtigt, dass die Preise in Städten im Schnitt sechs Prozent höher sind als auf dem Land. Die Armutsverteilung zwischen den neuen Bundesländern un dem Westen verändert sich entscheidend, da in den neuen Ländern die Preise um fünf Prozent niedriger sind.

Armutsquote zwischen Ost und West halbiert sich

Miete macht die Münchner Singles arm

Kaufkraft Index 2014, Quelle: IW Köln

Die Unterschiede werden deutlicher wenn man bereücksichtigt dass sich die Armutsquote zwischen Ost und West sich mittlerweile von sechs auf drei Prozent halbiert hat.

Was bedeutet das für die Münchner?

Eigentlich gelten in der Region München (Stadt) nur 11,7 Prozent der Einwohner als einkommensarm, berücksichtigt man allerdings die hohen Mieten und Preise in München schnellt dieser Wert auf 18,2 Prozent hoch – und somit befindet sich München im Ranking der kaufkraftbereinigten Einkommensarmut auf einer Stufe mit Frankfurt/Oder oder dem eher infrastrukturschwachen Cham in der Oberpfalz nahe der tschechischen Grenze.

Das Stadt-Land-Gefälle ist größer als vermutet

Größer als die IW-Forscher ursprünglich vermutet hatten ist das Stadt-Land-Gefälle, denn während in ländlichen Regionen im Schnitt nur knapp 14 Prozent der Bevölkerung kaufkraftarm sind, liegt der Schnitt in den Städten bei 22 Prozent. Eklatant ist die Situation in Köln mit einer kaufkraftbereinigten Einkommensarmut von mehr als 26 Prozent.

Kein Wunder also wenn die Münchner Singles immer mehr aus München abwandern und in der bayrischen Landeshauptstadt lediglich arbeiten, während sie auch dem Land wohnen.

Die Armut im regionalen Vergleich:

So viel Prozent der Bürger erreichen maximal 60 Prozent des mittleren Einkommens bzw. der mittleren Kaufkraft in dieser Region

Die ärmsten Regionen und Städte Deutschlands Einkommens­armut Kaufkraftbereinigte Einkommensarmut
  1. Köln 20,4 % 26,4 %
  2. Dortmund 26,5 % 25,5 %
  3. Bremerhaven 27,6 % 24,3 %
  4. Leipzig (Stadt) 26,7 % 24,3 %
  5. Duisburg 25,2 % 24,1 %
  6. Frankfurt am Main 15,3 % 23,5 %
  7. Gelsenkirchen 25,7 % 23,5 %
  8. Bremen 22,1 % 23,4 %
  9. Düsseldorf 17,5 % 22,7 %
10. Vorpommern-Rügen, Vorpommern-Greifswald 25,5 % 22,4 %
11. Berlin 21,2 % 22,1 %
22. Nürnberg 17,7 % 19,7 %
27. Stuttgart 13,8 % 18,9 %
28. Augsburg 17,6 % 18,8 %
31. München 11,7 % 18,2 %
33. Frankfurt/Oder, Märkisch-­Oderland, Oder-Spree 20,8 % 18,0 %
74. Cham, Neumarkt (Obpf.), ­Regensburg (Stadt und Lankreis) 13,3 % 13,3 %
85. Erlangen, Fürth, Schwabach 11,9 % 12,9 %
87. Hof, Kulmbach, Bayreuth, ­Wunsiedel im Fichtelgebirge 15,0 % 12,9 %
94. Schweinfurt, Bad-Kissingen, Rhön-Grabfeld, Haßberge 14,1 % 12,5 %
101. Dachau, Fürstenfeldbruck, Landsberg, Lkr. München, Starnberg, Ebersberg, Erding, Freising 7,1 % 12,0 %
109. Straubing, Deggendorf, ­ Regen, Passau, Freyung-Grafenau 13,6 % 11,4 %
111. Rosenheim, Mühldorf, Altötting, Traunstein, Berchtesgaden 11,1 % 11,3 %
112. Weiden (Obpf.), Neustadt, Ansbach, Amberg, Schwandorf, Tirschenreuth 13,1 % 11,3 %
113. Bad-Tölz-Wolfratshausen, Garmisch-Partenkirchen, Miesbach, Weilheim 8,1 % 11,0 %
117. Kaufbeuren, Ostallgäu, Kempten 10,5 % 10,4 %

Quelle: IW Köln

Singles und Arbeitslose sind am meisten betroffen

Der Kreis der Betroffenen ist in jeder Region Deutschlands gleich: Knapp die Hälfte der Menschen, in deren Haushalt mindestens ein Arbeitsloser lebt und  knapp ein Drittel der Alleinerziehenden sind betroffen. Bei den Singles gilt deutschlandweit ein Viertel als „kaufkraftarm“.

Die Konsequenzen für die Politik aus der Studie:

Die aktuelle Studie sollte schnellstens wachrütteln, und auch IW-Präsident Prof. Michael Hüther plädiert für für eine Umverteilung des Soli. Die Gelder aus dem Soli nach dem Ende des Solidarpakts im Jahr 2019 künftig eher in die Großstädte fliessen als pauschal in die neuen Länder. In den Städten werden sich die Strukturprobleme wie schrumpfende Alt­industrien, bildungsferne Gruppen und hohe Migranten­anteile zukünftig noch stärker ballen. Desweiteren kritisiert Hüther, dass der Mindestlohn pauschal und nicht regional gestaffelt eingeführt wird. „Ein Mindestlohn von 8,50 Euro im Westen entspricht kaufkraftbereinigt einem Lohn von nur 7,90 Euro im Osten“, so Hüther. „Durch das deutlich niedrigere Lohnniveau sind hier 2015 voraussichtlich 22 Prozent der Beschäftigten vom Mindestlohn betroffen, gegenüber zwölf Prozent im Westen. Damit ist die Gefahr groß, dass der Einheitsmindestlohn gerade im Osten Arbeitsplätze kostet.“